Als wir nach einer gefühlten Ewigkeit entlang der türkischen Küste aus dem stickigen Bus steigen müssen wir uns beim Busfahrer vergewissern, dass wir auch wirklich im Stadtzentrum von Batumi (Georgien) angekommen sind. Etwas ungeduldig wird uns erklärt, dass wir uns am gewünschten Ort befänden und jetzt unser Gepäck nehmen sollen, welches bereits neben dem Bus auf dem staubigen Asphalt liegt. Der Bus ist weiter unterwegs Richtung Tiflis und hat wegen einer kleinen Verzögerung am Zoll, ohnehin schon Verspätung. Wir, oder genauer gesagt unsere Pässe, sind daran nicht ganz unschuldig. Natürlich wollten wir beim beim Grenzübertritt aus der Türkei alles richtig machen und wechselten vorsichtshalber zwischen den beiden Grenzübergängen ein paar Dollar in die Lokale Währung Lari (GEL). Bei der Wahl der Schlange vor der Passkontrolle machten wir jedoch den entscheidenden Fehler.
Der zuständige Beamte machte seine Ineffizienz schon bei der Abfertigung der vor uns anstehenden Georgier deutlich. Als wir ihm dann unsere Pässe zeigten, kam der Prozess gänzlich zum erliegen. Stirn-runzelnd betrachtete der Beamte unsere Pässe, hielt sie gegen die Sonne und unter das Schwarzlicht. Dann verschwand er, um sich mit seinen Kollegen zu beraten.
Die Schlange hinter uns löste sich allmählich auf. Nach einer Weile kam der Beamte zurück und nach einer weiteren Vergewisserung, dass wir auch wirklich Urs und Marlene aus der Schweiz sind, räusperte er sich und meinte in feierlichem Ton: Welcome to Georgia!
Als grober Kontrast zum top-modernen georgischen Grenzgebäude, fällt uns in Batumi als Erstes der prekäre Zustand der Strassen und Gehwege auf. An vielen Stellen ist der Asphalt oder Beton aufgerissen und Gehsteige werden zu Strassengräben. Diese sind mit Wasser gefüllt und zwingen Fussgänger zum Ausweichen auf die Strasse. Dahinter türmen sich Wohnblöcke auf, vereinzelt aufgelockert durch kleine und grössere Geschäfte.
Mit Hilfe von GPS und Strassenkarte bestimmen wir kurz unsere Position (wir sind tatsächlich im Zentrum!) und suchen die vom Reiseführer empfohlene Unterkunft. In der angegebenen Strasse weiss man offenbar wohin wir wollen: Mit Fingerzeigen und Kopfnicken werden wir in einen Hinterhof verwiesen und finden uns gleich darauf in der belebten Küche des Homestays wieder. Dort weist man uns ein Doppelzimmer zu und wir werden gleich an den gedeckten Tisch gebeten. Die Familie, welche das Hostel betreibt hat gerade gekocht und da wir im richtigen Moment angekommen sind, ist es ihnen eine Freude, uns dazu einzuladen. Auf dem Tisch dampfen Schälchen voller leckerer Georgischer Spezialitäten und bevor wir uns Versehen sind unsere Gläser bereits mit Bier gefüllt, welches hier aus grossen PET-Flaschen ausgeschenkt wird. Georgische Gastfreundschaft par Excellance!
Zufrieden und begeistert von dem ersten Geschmackserlebnis in Georgien machen wir uns auf zu einem Stadtbummel.
Je näher wir an die Meerespromenade kommen umso mehr verändert sich das Bild. Ein Luxus-Hotel reiht sich an das nächste, dazwischen grosszügige Parkanlagen mit ausgefallenen Brunnen und Skulpturen. Die Architektur der Hotels verschlägt uns die Sprache. Wir können kaum beschreiben was wir hier sehen, Glas, Metall und verschiedene Formen und Farben wurden für die riesigen Anlagen in einer uns fremden Weise vereinigt. Manches erinnert uns an Hundertwasser-Bauten. Die Faszination treibt uns weiter. Zwischen den neuen Prunk-Bauten erstellen unzählige Arbeiter neue Strassen und Gehwege. Überall wird neues Kopfsteinpflaster mit ausgefallenen Mustern verlegt. Es scheint, als würde die ganze Stadt einmal umgekrempelt.
Die Kontraste bleiben jedoch riesig. Hinter bunten Fassaden entdecken wir graue Plattenbauten. Schuttberge und noch nicht verbaute Pflastersteine liegen an jeder Strassenecke. Neu gepflasterte Promenaden enden in Bau-Kratern. Männer arbeiten in sengender Hitze irgendwo auf einem improvisierten Baugerüst. Sicherheit scheint hier nicht an erster Stelle zu stehen.
Was auf der Baustelle an Sicherheitsstandards fehlt steht im groben Kontrast zur grossen Uniform-Präsenz an öffentlichen Orten. An den beliebten Treffpunkten treffen unzählige Polizisten, die meisten von ihnen sehr jung. Sie sitzen in Gruppen auf Parkbänken unterhalten sich und rauchen. Die grosse Uniform-Präsenz soll hier wohl ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Auf uns wirkt sie genauso drollig wie die unzähligen Life-guards im Baywatch-Stil.
Entlang der Küste wo die Bau-Arbeiten abgeschlossen sind, flanieren die Leute, verweilen in Kaffees, spielen Tischtennis oder Pool an hier aufgestellten Tischen. Man bekommt den Eindruck, dass neben der Förderung des Tourismus ebenso Wert darauf gelegt wird, den Locals etwas zu bieten. Die Stimmung entlang der Strand-Promenade erinnert an mediterrane Ausgelassenheit. Hier wurde ein neuer Ort der Begegnung geschaffen, mit zahlreichen Spazierwegen und Parkbänken und er scheint für alle offen zu stehen. Dass sich die Leute gerade hier treffen, verwundert uns nicht. Die Sorgen der nach wie vor armen Bevölkerung scheinen hier leichter ertragbar, als zwischen den bunt angemalten, aber trostlosen Soviet-Bauten, ein paar Strassen weiter, welche für viele das Zuhause bedeuten.
Die Stadt scheint besonders Türkische Touristen anzuziehen. Dies ist leicht zu erklären, denn im Gegensatz zur Türkei ist Glücksspiel hier erlaubt (Casinos schiessen wie Pilze aus dem Boden) und neben leicht bekleideten Frauen gibt es hier auch günstigen Alkohol im Überfluss.
Wir wundern uns über den Bau-Boom welcher die Stadt erfasst hat. Uns wird erklärt, dass es ein wichtiges Ziel der Regierung in Tiflis ist, Batumi (die einstige Drehscheibe für den Handel von Aserbaidschanischem Erdöl an der Schwarzmeerküste) in eine Tourismus-Perle zu verwandeln.
Am Strand entdecken wir Fahrräder welche gegen eine kleine Gebühr per Kreditkarte ausgeliehen werden können. Das Automatisierte Ausleih-System funktioniert aber leider an keiner der diversen Ausleih-Stationen. Die Tatsache, dass alle Stationen voll sind mit Fahrrädern, weist darauf hin, dass hier etwas grundsätzlich nicht funktioniert. Auch die hilfsbereiten Georgischen Passanten können hier nicht weiterhelfen und haben selbst noch nie von diesem Service Gebrauch gemacht.
Auf den Strassen fallen uns besonders die vielen neuen und teuren Autos auf. Offenbar zieht die Stadt vor allem reiche Zuzüger an. Ein Besuch im Goodwill-Einkaufszentrum bestätigt diesen Eindruck. Hier gibt es alles zu kaufen, was wir in der Türkei vermisst haben. Die Regale sind voll mit Deutschen Markenprodukten, meist mit einem Aufkleber versehen, welcher die Inhaltsstoffe auf Georgisch erklärt. Die Preise reichen hier von moderat bis absolut unverschämt. Viele deutsche Nahrungsmittel sind sehr überteuert und weisen auf eine Mehrklassen-Gesellschaft hin. Wir nutzen die Gelegenheit uns mit Proviant für das bevorstehende Trekking-Abenteuer in den Georgischen Bergen einzudecken. Hier bekommen wir die für einen mehrtägigen Wandertrip geeigneten Nahrungsmittel wie Polenta, Kartoffelpüree und Pesto, welche wir in anderen georgischen Läden vergeblich suchen.
Fasziniert von der Stadt und gleichzeitig verstört von den vielen neuen Eindrücken machen wir uns auf den Weg nach Mestia, Svaneti, dem wunderschönen Georgischen Hinterland.