Tourischock in Istanbul

Im Morgengrauen blinzeln wir Istanbul entgegen. Nach dem gleichmässigen Rütteln des Busses sind wir noch etwas belämmert und froh, dass die Stadt gerade erwacht und wir uns in Ruhe orientieren können. Da meldet sich auch schon die türkische Gastfreundschaft per SMS. Ein türkisches Hospitalityclub-Mitglied wird uns die nächsten Tage ein Zuhause bieten.
Nach einer kurzen Begrüssung machen wir uns auf den Weg in die Stadt und gelangen direkt ins Touristenviertel, Sultanahmet. Mit unserem Schlafdefizit sind wir ein leichtes Opfer für die vielen Teppichhändler, Restaurant-Anpreiser und Glaceverkäufer. Obwohl wir genau wissen, dass wir weder Teppiche kaufen noch die lokalen Fleischspezialitäten ausprobieren wollen, werden wir immer wieder in Gespräche verwickelt. Bei manchen Begegnungen hilft es schon, ein „hello“ mit „merhaba“ zu erwidern, um den Händler komplett verwirrt zurück zu lassen. Geschickte Verkäufer nutzen dies wiederum um uns nach Türkisch-Kenntnissen und Herkunft zu fragen. Dieser plötzlichen Aufmerksamkeit sind wir nach der Gleichgültigkeit, mit der uns die Bukarester begegneten, noch nicht gewachsen. An der Meerpromenade erhoffen wir uns etwas Ruhe. Aber auch da werden wir gleich wieder belagert und kehren deshalb bald zu unserem Gastgeber zurück. Dieser ermuntert uns, die Händler ruhig etwas bestimmter abzuwehren. Er arbeitet bei der Migrationspolizei am Flughafen und steht uns Rede und Antwort zu seinen Einstellungen. Stolz berichtet er von der Fahrt nach Libyen, wo er bei der Evakuierung von Türken in Libyen mit dabei war. Wir geniessen es, ein ernsthaftes Gespräch mit einem Türken führen zu können, das über die vielen „hellos“ und „where are you from“ hinausgeht. Beim Einkaufen tags darauf merken wir auch, dass hier, etwas ausserhalb des Stadtzentrums die Leute einem mit einer unvoreingenommenen Herzlichkeit begegnen und sich über unsere ersten Türkischversuche freuen.

Sonntags versprechen wir uns mit einer Bootsfahrt etwas Weitblick, über die engen Gassen Istanbuls hinaus. Um nicht abermals mit unzähligen Touristen mitgeschleust zu werden, begeben wir uns nicht auf die Bosporus-fähre sondern auf das kleine Boot, das zum Goldenen Horn fährt. Ausgerechnet hier hören wir zum ersten Mal seit unserer Abfahrt wieder Berndeutsch und stellen erstaunt fest, dass schon Pfingsten ist. Ausnahmsweise sind wir gemütlicher als unsere Landesgenossen unterwegs und setzen uns erst einmal auf die Wiese an der Anlegestelle. Dort finden wir uns wieder zwischen picknickenden muslimischen Familien und Vätern, die ihren Kindern das Drachensteigen beibringen. Mobile Verkäufer mit Brezelbergen auf dem Kopf, Zuckerwattenkissen und gekochten Maiskolbenständen vor dem Bauch, gehen an uns vorbei.
Wir geniessen das Treiben, das sich auf dem gesamten Weg bis zur nahegelegenen grossen Moschee von Eyüp fortsetzt und erst kurz vor deren Eingang abbricht. Bei diesem bekannten muslimischem Pilgerort muss sich Marlene erstmals ihren eigenen Schal umwickeln. Hier gibt es nicht, wie am Eingang sonstiger touristischen Moscheen, Kopftücher zum ausleihen. Im Gotteshaus selbst ist man nicht von gestikulierenden Reiseführern und blitzenden Fotokameras, dafür aber von diskutierenden Muslimen und quirligen Kindern umgeben. Der Ort ist offenbar für türkische und muslimische Touristen gemacht, da sich hier in der Nähe auch das Grab eines wichtigen Märtyrers (Eyüp Ensari, Fahnenträger von Mohammed) befindet. Wir gehen die Treppen durch den muslimischen Friedhof bis zum Ausflugsberg Pierre Lotti hinauf und geniessen dort die Meersicht. Mit der letzen Fähre fahren wir zur Altstadt zurück, steigen aus Neugierde aber nicht dort aus, was uns, ganz unverhofft, doch noch eine Bosporusfahrt beschert. Ein erstes Mal auf asiatischem Boden wagen wir die frischen Früchte runter zu handeln und lassen diesen erholsamen Sonntagsausflug bei einem Kaffee am Hafen ausklingen.

Tags darauf wagen wir uns noch einmal in die touristische Altstadt um uns endlich die blaue Moschee anzuschauen. Ein plötzlicher Platzregen scheucht viele Touristen in die Kaffees und bringt die Besucherschlange vor der blauen Moschee zum Verschwinden. Vom trüben Wetter treten wir in warmen Glanz der Moschee. Lange bestaunen wir die reich verzierten Wände und Decke. Immer wieder fallen uns neue Farben, Formen und kleine Unregelmässigkeiten in den Mustern auf. Die Moschee, die vom stolzen Sultan auf Boden des früheren byzantinischen Palastes errichtet wurde, birgt in sich eine ungewohnte Andächtigkeit.
Durch die frisch gespülten Gassen gehen wir zum Hauptbahnhof von Istanbul. Dieser scheint uns seltsam verlassen und wir erfahren, dass wegen Bauarbeiten die meisten Zugverbindungen eingestellt sind. Unsere Reise wird also mit dem Bus weitergehen. Safranabolu, heisst die nächste Station, wo wir wieder einmal von Grossstädten pausieren wollen.

 

Kategorie(n): Deutsch, Türkei, Wegpunkte

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